„Die Freiheit nehm ich mir …“

Was haben der Werbespot für eine Kreditkarte, die Gehaltsverhandlung und das Gesundheitswesen miteinander zu tun? Unser Gastautor und Bundesvorsitzender Dr. Dirk Heinrich beobachtet: die Ansprüche der Patienten wachsen, das Gefühl für Solidarität geht verloren.

 

 „Die Freiheit nehm ich mir …“

… sprach in einem Werbefilm einer Kreditkartenfirma eine junge hübsche Frau und schnippte ihre Kreditkarte, die Kartenecke laut schnalzend, auf den Tresen einer Boutique. Daran muss ich häufiger denken, wenn ich in meiner HNO-Praxis mit den Ansprüchen von Kassenpatienten konfrontiert werde.

„Herr Doktor, ich brauch mal Ihre Meinung, ich war schon bei drei anderen Ärzten“ heißt es da. Oder „Wenn ich schon mal da bin, dann könnten Sie doch gleich auch …“ Jeder Kassenarzt kennt diese Sprüche. Nicht gerade wenige Patientinnen und Patienten kommen in der irrigen Annahme, jeglichen medizinischen „Service“ verlangen zu können, und dass die Kasse das alles zahlt.

Offenbar fehlt vielen Menschen mittlerweile das Gefühl dafür, dass man auch als Patient Ressourcen im Gesundheitswesen verbraucht. Dass man auch als Patient mit diesen Ressourcen schonend umgehen sollte. Dass es eine gemeinsame Verantwortung für den Umgang mit dem Geld der Versichertengemeinschaft gibt. Das mögen Ärzte noch so empfinden (Stichwort „WANZ“), aber nach meiner Erfahrung nicht die breite Masse der Bevölkerung.

 

„Aber ich habe doch einbezahlt!“

Die Krankenkassenkarte hat ja schließlich Scheckkartenformat. Da liegt es doch nahe, dass man mit dieser Karte unbegrenzten Kreditrahmen im Gesundheitswesen bekommt.

„Wenn ich schon mal da bin, dann könnten Sie doch auch gleich einen Hörtest machen.“ Diesen Satz höre ich mindestens täglich. Wenn ich dann versuche, einem solchen Patienten klarzumachen, dass es sich dabei um eine Selbstzahlerleistung handelt, stoße auf größtes Unverständnis: „Aber ich habe doch einbezahlt!“. Häufig schwingt dabei mit, dass man doch Kunde sei – und damit König!

 

Wie war das noch mal mit den Beiträgen?

Einbezahlt? Als ich vor einiger Zeit ein Bewerbungsgespräch mit einer Bewerberin für die Stelle einer medizinischen Fachangestellten (MFA) führte und nach den Gehaltsvorstellungen fragte, bekam ich eine für meine Begriffe zu niedrige Summe genannt. Ich merkte dann aber schnell, dass die Bewerberin den Nettoverdienst meinte. Dass nur das Bruttogehalt eine vergleichbare Größe darstellt, war der Bewerberin völlig neu.

Mein Verdacht: Immer mehr Arbeitnehmer schauen wohl nur noch rechts unten auf den Gehaltszettel, also auf das, was „unten rauskommt“. Die Abzüge oben sind den meisten Angestellten im Detail unbekannt oder vielleicht auch egal.

Damit ist aber wohl auch das Verständnis des Zusammenhangs zwischen den tatsächlich gezahlten Beiträgen und den empfangenen Leistungen verloren gegangen. Vom Generationenvertrag will ich hier erst gar nicht anfangen. Wofür eigentlich die ganzen Abzüge dienen, ist in den Hintergrund geraten. Der Nettoverdienst allein entscheidet.

 

Das erklärt für mich auch die „All-inclusive“-Mentalität beim Empfang von Leistungen. „Ich habe ja für ALLES einbezahlt, jetzt ist alles frei!“ Ein unbegrenzter Leistungsanspruch ist die Folge. Und so kommt es, dass immer mehr Patienten mit Befindlichkeitsstörungen und Banalitäten die Praxen und Notaufnahmen verstopfen.

Ein Bewusstsein bei den Menschen dafür wiederherzustellen, dass die einzuzahlenden Beiträge und die in Anspruch zu nehmenden Leistungen in einem gesunden Verhältnis stehen müssen, ist eine wichtige politische Aufgabe. Letztendlich ist auch die Wartezeiten-Diskussion ein Ausdruck genau dieser Problematik. Auf der einen Seite wünscht sich jeder einen schnellen Facharzttermin, auf der anderen Seite werden gebuchte Termine nicht wahrgenommen.

Wenn sich die Politik dieser Aufgabe weiterhin nicht stellt, werden auch die schönsten Gesetze, die massivsten Eingriffe in die Selbstverwaltung und die unverschämtesten Attacken auf die Autonomie von Praxenam Ende der Politik nichts nützen. Denn die Ressourcen sind und bleiben endlich. Der Krug geht zum Brunnen, bis er bricht.

 

Gastautor Dr. Dirk Heinrich ist seit über 20 Jahren als HNO-Arzt in Hamburg-Horn niedergelassen. Als Bundesvorsitzender des Virchowbundes kämpft er dafür, die Budgetierung zu beenden, die ärztliche Selbstverwaltung zu stärken und die Freiberuflichkeit zu erhalten. Erfahren Sie hier, was berufspolitische Arbeit für Praxis-Ärzte verändert und warum es sich für Sie lohnt.

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