Behandeln wir die Richtigen?

An mehr Patientensteuerung führt kein Weg vorbei. Ein „Facharzt für Koordination“ könnte die Lösung sein. Auch Zuzahlungen könnten nötig werden.

 

Deutschland wird älter und kränker. Gleichzeitig verschiebt sich das Kräfteverhältnis zwischen Beitragszahlern und Patienten.

Mehr Menschen, die Versorgung benötigen und weniger finanzielle Mittel dafür pro Kopf – das geht nicht mehr lange gut. Dazu die anrollende Ruhestandswelle bei den Ärzten der Babyboomer-Generation, befeuert durch großen Frust über die Gesetzgebung der letzten Jahre.  

Das ist für die Demokratie in Deutschland gefährlich.  Denn Gesundheitsversorgung ist Daseinsfürsorge. Wo sie wegbricht, haben es demokratiefeindliche Kräfte leichter, ihr Gift zu verbreiten.

Klar ist deshalb: Es muss sich etwas ändern. An mehr Patientensteuerung führt kein Weg vorbei.

 

Die Zeit ist reif für mehr Steuerung

Aber wie bringt man Patienten im Dschungel des Gesundheitswesens dorthin, wo ihnen zielgerichtet geholfen wird? Wie verhindert man, dass Patienten mit ihrem Problem von Arzt zu Arzt wandern, überall Kosten auslösen und Ressourcen binden, während andere lange auf Termine warten? Wie kriegt man das Problem mit „no shows“ in den Griff, also Termine, die die Patienten nicht wahrnehmen, aber auch nicht absagen, sondern einfach verfallen lassen? Viele Fragen, aber auch Antworten und Ideen, die am 8. auf der Bundeshauptversammlung 2024 des Virchowbundes ausgetauscht wurden.

Am Ende stand das Grundsatzprogramm „Versorgung 2040: Eckpunkte für eine gute, gerechte und Gemeinwohlorientierte Gesundheitsversorgung“. Nur zwei Tage nach Auflösung der Ampel-Koalition ist das Grundsatzprogramm eine Diskussionsgrundlage für die politischen Programme der Parteien im Wahlkampf.

Hier geht’s zum Grundsatzprogramm

 

„Koordinationsarzt-Modell“ bringt Vorteile für Patienten

In der Regelversorgung plädieren die Hausärzte und Fachärzte im Virchowbund für ein „Koordinationsarzt-Modell“. Jeder Patient hat darin einen koordinierenden Arzt, der den Patienten bei Bedarf an weitere Ärzte überweist. In den meisten Fällen, speziell bei multimorbiden Patienten, übernimmt der Hausarzt die Koordination. Doch auch Fachärzte können als Primärarzt in Frage kommen, z. B. Gynäkologen bei grundsätzlich gesunden jungen Frauen oder ein Augenarzt bei einer singulären Augenerkrankung.

Patienten, die sich steuern lassen, haben davon einen Mehrwert. Sie sind zufriedener und die medizinische Versorgung ist besser, berichtete Prof. Josef Hecken, der Unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) in seinem Impulsvortrag „Behandeln wir die Richtigen?“ auf der Bundeshauptversammlung des Virchowbundes.

Er echauffierte sich darüber, dass bis zu ein Drittel der Arztkontakte in Deutschland vollkommen unnötig wären. „In meiner offenen Sprechstunde ist die häufigste Diagnose Tubenmittelohrkatarrh. Von solchen Banalitäten müssen wir uns befreien“, stimmte ihm Dr. Heinrich, der Bundesvorsitzende des Virchowbundes, zu.

 

Freie Arztwahl in Zukunft nur mit Zuzahlung

Damit Patienten bei der Steuerung mitmachen, müssen sie auch einen finanziellen Vorteil davon haben. Der Virchowbund schlägt vor, die Einsparungen durch die Patientensteuerung an die Patienten weiterzugeben: Nämlich, indem diese einen geringeren Beitrag zahlen als ungesteuerte Patienten.

Oder anders gesagt: Wer die Steuerung ablehnt, muss einen teureren Wahltarif bei seiner Krankenkasse buchen.

Das Recht auf freie Arztwahl bleibt bestehen, kostet aber etwas mehr. So stärken wir die Eigenverantwortung und Selbstbestimmung der Patientinnen und Patienten.

Dr. Dirk Heinrich
Bundesvorsitzender Virchowbund

Steuerung funktioniert nur mit Haus- und Fachärzten gemeinsam

Die Erfahrung mit primärärztlichen Einschreibemodellen aus Baden-Württemberg und anderen Regionen zeigt: Erfolgreich waren die Projekte dort, wo die Hausarztverträge mit Facharztverträgen für Überweisungen und ähnliches kombiniert wurden. Die unangemeldeten, unkontrollierten Facharztbesuche gingen deutlich zurück, auch die Zahl der Arzneimittelverordnungen, Krankenhauseinweisungen und Krankenhaustage sank. Der Chef des G-BA ist begeistert: „Unterm Strich hat sich die Mehrvergütung, die wir hier an die Primärärzte und die weiterbehandelnden Fachärzte bezahlt haben, mehr als amortisiert.“

Eine hausarztzentrierte Versorgung (HzV) als reines Hausarztmodell würde scheitern, ist auch der Bundesvorsitzende des Virchowbundes, Dr. Dirk Heinrich überzeugt. „Das können Hausärzte gar nicht mehr leisten, dafür gibt es mittlerweile einfach zu wenige.“ Nur die Kombination mit Facharztverträgen machte die HzV in Baden-Württemberg erfolgreich. „Das ist auch DNA des Virchowbundes: Haus- und Fachärzte arbeiten zusammen, und dann fluppt’s!“

Diskussion als Video ansehen

 

Über Zuzahlungen nachdenken

Mit einem Primärarztmodell alleine ist es aber noch nicht getan. Weitere Strukturveränderungen müssen her, auch in der Notfall- und stationären Versorgung bzw. am Sektorenübergang. Auch dazu bietet das Grundsatzprogramm „Versorgung 2040“ eine Vorlage aus Sicht der niedergelassenen Ärzte.

Prof. Josef Hecken brachte im Gespräch mit Heinrich als weitere Maßnahme auch Zuzahlungen für Patienten ins Spiel (hier geht’s zur Video-Aufzeichnung). Hecken, der sich selbst als starken Raucher bezeichnet, sagte: „Wenn man Tabak mit einer Sonderabgabe in Höhe von 10 Euro belegen würde, hätte man im Jahr 8 Mrd. Euro mehr; beim Schnaps hätte man noch einmal 5 Mrd. Euro. Das ist ein Beitragssatzpunkt. Für einen Beitragssatzpunkt kann ich viele Patienten versorgen!“

Die haus- und fachärztlichen Delegierten des Virchowbundes sahen das ähnlich. Sie forderten den Gesetzgeber auf, endlich Werbeverbote für Alkohol, Tabak, Tabakersatz- und Nikotinprodukte umzusetzen. Mit insgesamt 47 Entschließungen gaben Sie den Gesundheitspolitikern im Bundestag einige Denkanstöße für den kommenden Wahlkampf auf den Weg.

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