ALLIANZ DEUTSCHER ÄRZTEVERBÄNDE: Offener Brief an den Bundeskanzler
Das Ministerium hat an ausgewählte Redaktionen ein „Faktenblatt“ mit der einseitigen Darstellung der Umsatzsituation der Vertragsärztinnen und Vertragsärzte ohne Betrachtung der wirtschaftlichen Gegebenheiten und der Behandlungsumfänge (Stichwort: Verlagerung von ambulant zu stationär) verbreitet. Dieses Papier ist einseitig, in seinem Kern tendenziös und wäre ohne weitere Quellenangabe auch dem Kassenlager zuordenbar.
Angesichts der laufenden Verhandlungen ist dies ein schwerwiegender Eingriff in die „Tarifautonomie“ der gemeinsamen Selbstverwaltung – für welche eben das BMG allenfalls die Rechts-, aber keinesfalls die Fachaufsicht hat. Zudem stellt diese Form der Einmischung aus unserer Sicht einen klaren Verstoß gegen das staatliche Neutralitätsgebot dar.
Besonders zu erwähnen ist der Abschnitt über „Umsätze“ der Praxisärzte während der Corona-Pandemie in den Jahren 2020 bis 2022. Damit wird uns Ärztinnen und Ärzten stillschweigend unterstellt, an der Pandemie unlauter verdient zu haben.
Richtig ist vielmehr: Gerade die Praxisteams waren zu Beginn der Pandemie weitestgehend schutzlos. Sie mussten Hygienemaßnahmen in den Praxen selbst organisieren, litten unter Lieferengpässen bei Masken und haben ihre Praxen dennoch offengehalten. Andere Bereiche, insbesondere einige Krankenhäuser, gingen im gleichen Zeitraum in Kurzarbeit. Daher ist es mittlerweile bekannt, dass in den Praxen 19 von 20 Covid-19-Erkrankte behandelt wurden und die Praxisärzte den zentralen Anteil an der Bewältigung der Pandemie hatten.
Die Impfkampagne in Deutschland wäre ohne die Impfungen in den Praxen kein Erfolg geworden. All dies ist nicht nur den Anstrengungen der Praxisärzte, sondern vor allem deren Praxisteams zu verdanken. Dass für Praxisteams und Organisation enorme Aufwendungen entstanden sind und den zusätzlichen Einnahmen entsprechend Kosten gegenüberstanden, blendet das Papier dies gezielt aus. In den Praxen herrscht mittlerweile Fachkräftemangel, insbesondere weil dort vergleichbare Gehälter von Angestellten in der stationären Pflege oder in den Krankenkassen nicht gezahlt werden können, obwohl diese Bereiche um dieselben Fachkräfte werben. Diesen Bedarf unter den Tisch fallen zu lassen, während er für die Pflege und die gewerkschaftlich organisierten Sozialversicherungsangestellten der Krankenkassen akzeptiert ist, widerspricht dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Dass dies durch ein SPD-geführtes Ministerium vorangetrieben wird, ist für uns unverständlich.
Durch den einseitigen Fokus auf Umsätze zeichnet das Bundesministerium für Gesundheit ein tendenziöses Bild, das wider besseren Wissens verbreitet wird. Die Unfähigkeit des BMG, Strukturreformen auf den Weg zu bringen, die nachhaltig gewährlisten, dass Mittel zielgerichtet und effizient eingesetzt werden, ist keine Entschuldigung für die einseitige Parteinahme für einen einzelnen Akteur im Gesundheitswesen, in diesem Fall für die Gesetzlichen Krankenkassen.
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, wir bitten Sie, den Bundesminister für Gesundheit, Prof. Dr. Karl Lauterbach, diesbezüglich auf seine Pflichten hinzuweisen – insbesondere darauf, dass er in der aktuellen Verhandlungssituation strikte Neutralität zu wahren hat.
Mit freundlichen Grüßen
Allianz Deutscher Ärzteverbände
gezeichnet
Dr. Norbert Smetak | Prof. Dr. Anke Lesinski-Schiedat | Dr. Dirk Heinrich |
Christine Neumann-Grutzek | Dr. Jörg-Andreas Rüggeberg |
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